1. Vorgänge in Dur

a. Die Durtonleiter

Eine Tonleiter ist eine geordnete Folge von Ganz- und Halbtonschritten. Die Reihenfolge dieser Tonschritte ist bei der Durtonleiter:

ganz/ganz/halb/ganz/ganz/ganz/halb

Durtonleiter

Da diese Reihenfolge immer gleich ist, kann mit ihrer Kenntnis leicht auf jedem Grundton eine Durtonleiter aufgebaut werden. Die beiden gleich aufgebauten Teile der Durtonleiter (jeweils zwei Ganz- und ein Halbtonschritt) bezeichnet man als "Tetrachorde". Die Lage der Halbtonschritte am Ende jedes Tetrachordes ergibt eine sehr starke Richtungstendenz nach oben. Die fünfte Stufe (Quint), also der Beginn des zweiten Tetrachordes, ist im melodischen Spannungsbogen der Höhepunkt. Die stärkste melodische Richtungstendenz hat die Septim (nach oben), gefolgt von Sext, Quart (nach unten) und Sekund (nach unten, je nach Melodieverlauf auch nach oben). Die Dreiklangstöne Grundton, Terz, Quint und Oktav haben keine festgelegte melodische Tendenz.
(Siehe auch: Erklärung der Intervalle)

b. Quintverwandtschaft in Dur

Errichtet man auf und mit den Tönen der Durtonleiter jeweils Dreiklänge ("leitereigene Stufendreiklänge"), so fällt auf, dass nur drei der Stufendreiklänge in Dur sind, nämlich auf der ersten (bzw. achten), der vierten und der fünften Stufe:

Diese drei Dreiklänge enthalten zusammen alle Töne der Tonleiter.

Der Dreiklang auf der ersten Stufe heißt Tonika (abgekürzt T),
der Dreiklang auf der fünften Stufe heißt Dominante (abgekürzt D),
der Dreiklang auf der vierten Stufe heißt Subdominante (abgekürzt S).

Subdominante und Dominante befinden sich im Quintabstand zur Tonika, sind mit ihr "quintverwandt". Sie haben dabei jeweils einen gemeinsamen Ton mit der Tonika, aber keine gemeinsamen Töne untereinander:

Vergleicht man die Spannungsverhältnisse der Folgen T-S-T und T-D-T, dann fällt auf, dass letztere sehr viel stärker zur Tonika drängt und deshalb eine stärkere Schlusswirkung hat:

Der Grund liegt in der Leittonspannung von der Terz der Dominante zum Grundton der Tonika (im Beispiel also h-c, vergl. auch die Beschreibung der melodischen Richtungstendenz unter 2)a) ), während in der Subdominante dieser Grundton schon vorweggenommen wird. Ein Schluss mit der Folge D-T heißt "authentischer Schluss", ein (seltenerer) Schluss mit der Folge S-T heißt "Plagalschluss".

Literaturbeispiel Authentischer Schluss

Literaturbeispiel Plagalschluss

Wie im obigen Beispiel der Schlusswendungen schon zu sehen, können Dreiklänge im Interesse einer linearen Stimmführung in drei verschiedenen Lagen auftreten:

Um von einer Lage in die andere zu wechseln, wird der unterste Dreiklangston um eine Oktav nach oben bzw. der oberste um eine Oktav nach unten verschoben. Die drei Lagen benennt man nach dem jeweils obersten Ton: Quintlage, Oktavlage und Terzlage. Die Abkürzung erfolgt mit dem Funktionssymbol (z.B. T, S, D) und der darübergestellten Intervallzahl (5, 8 bzw. 3).

c. Die Kadenz

Die Folge der quintverwandten Stufendreiklänge der Tonleiter, also Tonika, Subdominante, Dominante, Tonika, enthält als melodischen Kern eine zweifach fallende Quint, von der sie (lateinisch cadere = fallen) ihren Namen hat: Die Kadenz.

Bei dem Ziel einer möglichst linearen Stimmführung der drei Oberstimmen ergeben sich durch die Verwendung der verschiedenen Lagen die drei folgenden wichtigsten Satzbilder der Kadenz:

In der Kadenz, also erst im Verhältnis der Quintverwandten zueinander werden die verschiedenen Funktionen der Subdominante und der Dominante deutlich: Die Dominante hat eine stark zur Tonika hinstrebende Auflösungstendenz, während die Subdominante eher verzögernd wirkt und außerdem der melodischen Vervollständigung dient, weil ohne sie die vierte und sechste Stufe der Skala in der Kadenz fehlten.
Eine andere Funktion bekommt die Subdominante außerhalb der Kadenzformel bei gewissen melodischen Höhepunkten:

Die erste Subdominante in diesem Beispiel ist ganz entspannt, ohne bestimmten Richtungszwang. Der Klanggehalt überwiegt bei weitem den Spannungsgehalt. Diese Entspannung hat ihre melodische Ursache in dem ersten Halbtonschritt der Skala von der dritten zur vierten Stufe, also zum Grundton der Subdominante. Harmonisch stellt die Subdominante ein Sich-Entfernen von der Tonika dar, welches erst mit der folgenden Dominante den Weg zurück weist.

Literaturbeispiel "klingende" Subdominante

Die beiden Tonika-Dreiklänge am Anfang und Ende der Kadenzformel rahmen diese einerseits symmetrisch ein, haben aber andererseits eine sehr unterschiedliche Funktion: Die Anfangstonika strebt zur Subdominante, die Schlusstonika ist entspannte Auflösung der Dominante. Anders gesagt: Die Anfangs-Tonika ist aktiv, die Schluss-Tonika passiv.

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© Christian Köhn